Description:
Der Wunsch nach Handlungsvorschlägen für den «Umgang» mit Migranten und Migrantinnen im klinischen Kontext hat zu einer vermehrten Rezeption der «Transkulturellen Pflege» von Madeleine Leininger geführt. Die meist kritiklose Übernahme ihrer Theorie ohne theoretische und historische Einbettung führt in der Praxis zu Stereotypisierungen ethnischer Gruppen und zur Kulturalisierung sozialer und individueller Dimensionen, statt zu einem gegenseitigen transkulturellen Verstehen. Leiningers Modell ist aus heutiger Perspektive nicht brauchbar, um eine transkulturelle Pflege in der Praxis zu etablieren. Eine Theorie, welche nicht die Auseinandersetzung mit eigenen soziokulturellen Hintergründen, sondern den Blick von außen auf das sogenannt Fremde fördert, und welche nicht die Interaktion, sondern Kulturen ins zentrum stellt, kann nicht als Grundlage einer transkulturellen Pflege dienen. Eine zeitgemäße transkulturelle Pflege bezweckt nicht die Konstruktion eines spezifischen Pflegemodells für Migranten und Migrantinnen, sondern die Erweiterung der Pflege um die soziokulturelle und migrationsspezifische Dimension. Doch die Pflege scheint diese Herausforderung nicht anzunehmen, ist es doch weitaus einfacher, die Leiningersche Kulturpflegetheorie in die bestehenden Curricula als zusätzliches Modell hinzuzufügen. Die Pflege verpaßt es so, sich kritisch mit der Übernahme bestimmter Theorien und Modelle aus anderen Disziplinen auseinanderzusetzen. Auch wenn Leininger selbst Pflegende ist, so hat sie doch als Ethnologin auf dem Hintergrund ethnologischer Theorien ihr Modell entwickelt. Die Vermittlung der transkulturellen Pflege verlangt aber auch von Ethnologen und Ethnologinnen eine Auseinandersetzung mit dem konkreten Kontext der Pflege und deren Ansätzen. Nur so kann die Ethnologie bewußt der Gefahr, als Randdisziplin marginalisiert und auf Kochbuchrezepte reduziert zu werden, etwas entgegensetzen.