• Media type: E-Article
  • Title: ,,Die Weltlage wird immer wirrer.“ Brecht registriert den Kriegsausbruch. Kriegsprognose und -diagnose im Journalund in der Kriegsfibel
  • Contributor: Jakobi, Carsten
  • imprint: Peter Lang, International Academic Publishers, 2014
  • Published in: Literatur für Leser
  • Language: English
  • DOI: 10.3726/90069_219
  • ISSN: 0343-1657
  • Origination:
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  • Description: <jats:p>Im Rahmen seines großangelegten <jats:italic>Tui</jats:italic>-Projektes, des geplanten satirischen Romans über den Intellektuellen in der bürgerlichen Gesellschaft, formulierte Bertolt Brecht in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft – spätestens 1935 – einen skizzenhaften Abriss der Geschichte der Weimarer Republik. Wie fast das gesamte vorliegende Textmaterial des nicht ausgeführten Romanprojekts hat die Skizze fragmentarischen Entwurfscharakter, aber trotz ihrer provisorischen Form ist sie in der politischen Sache, die sie vertritt, höchst entschieden und urteilsgewiss. Am Ende des nur knapp halbseitigen Geschichtsüberblicks heißt es lapidar: ,,Die Industrie ist eine imperialistische, da Profit erzeugende, auf Militarismus angewiesene. Die unerhörte Rationalisierung wirft das Proletariat auf die Straße. Von wo es die Militärs in die Kasernen – und in die Fabriken hereinholen. Der zweite Weltkrieg steht bevor.“<jats:sup>1</jats:sup> Der rhetorisch inszenierte Nachweis eines notwendigen Zusammenhanges zwischen der kapitalistischen Ökonomie, dem Ende der bürgerlichen Demokratie, dem Aufstieg des Faschismus und der Entfesselung des hier auch bereits terminologisch korrekt antizipierten Zweiten Weltkriegs ist typisch für Brechts Überzeugung, dass der Kapitalismus im Allgemeinen und der NS-Faschismus im Besonderen unausweichlich auf einen Weltkrieg zusteuerten. In dieser politischen Prognostik reaktualisiert sich die Kriegsthematik, die in Brechts gesamtem literarischen Werk geradezu eine Konstante darstellt: von seinem ersten Drama <jats:italic>Die Bibel</jats:italic> aus dem Jahr 1913 über die nationalistischen Kriegsgedichte des Sechzehnjährigen zu Beginn des Ersten Weltkriegs, die berühmte <jats:italic>Legende vom toten Soldaten</jats:italic> von 1918 bis hin zu seiner letzten Buchpublikation, der <jats:italic>Kriegsfibel</jats:italic> von 1955. Wie ein kurzer Überblick über die genannten Werke zeigt, ist Brechts Auffassung des Krieges alles andere als konstant, aber stets durch das Selbstbewusstsein gekennzeichnet, gültige Urteile über den Krieg zu formulieren, und dieses Selbstbewusstsein nimmt dabei mitunter, wie das Zitat aus dem <jats:italic>Tuiroman</jats:italic> zeigt, die Form einer zukunftsgewissen Prognose an – eine Prognostik, die sich Brecht nach 1945 auch selbst als Verdienst attestierte, oft zu Recht, wenn man an das Kapitel <jats:italic>Deutsche Kriegsfibel</jats:italic> der <jats:italic>Svendborger Gedichte</jats:italic> denkt<jats:sup>2</jats:sup>, zum Teil auch fälschlich, indem er etwa von seiner <jats:italic>Mutter Courage</jats:italic> behauptete: ,,Das Stück ist 1938 geschrieben, als der Stückeschreiber einen großen Krieg voraussah […]“<jats:sup>3</jats:sup> – obwohl der Arbeitsbeginn an dem Stück tatsächlich erst vier Wochen nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lag.<jats:sup>4</jats:sup></jats:p>
  • Access State: Open Access