Published in:Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2
Footnote:
Veröffentlichungsversion
begutachtet
In: Rehberg, Karl-Siegbert (Hg.): Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2. 2006. S. 3167-3173. ISBN 3-593-37887-6
Description:
"In den letzten Jahren ist die Einrichtung klinischer Ethikkomitees wie eine Welle aus den Vereinigten Staaten nach Europa und Deutschland geschwappt. Diese Komitees haben von ihrer formellen Ausrichtung her - im Gegensatz zu medizinischen Ethikkommissionen - eine beratende Funktion für Patienten wie für medizinisches Personal in ethisch problematischen Fällen. Als drei Hauptaufgaben klinischer Ethikkomitees wird in der einschlägigen Literatur zwischen Entwicklung von Leitlinien für wiederkehrende ethische Dilemmata, Schulung des medizinischen Personals in ethischen Fragen sowie Besprechung und Beratung ethischer Problemfälle unterschieden. Die Institution eines Komitees erscheint als eine Reaktion auf Problemlagen im klinischen Alltag, die entweder als neu wahrgenommen werden - hier wäre vor allem an einen steigenden Druck bisher ungekannter Entscheidungssituationen zu denken, die durch technischen Fortschritt und Möglichkeitszuwachs in der medizinischen Wissenschaft aufgeworfen werden - oder aber für die bisher im Krankenhaus übliche Lösungen fraglich bis obsolet geworden sind. Das interdisziplinäre DFG-Projekt 'Ethik und Organisation' an den Universitäten München (Prof. Nassehi/ Prof. Schibilsky) und Göttingen (Prof. Anselm) hat in einem methodischen Dreischritt (biographische Interviews, teilnehmende Beobachtung, Experteninterviews) umfangreiches Material u.a. zu der Frage erhoben, wie es den Mitgliedern der klinischen Ethikkomitees gelingt, ein ethisches Sonderwissen im Krankenhauszu beanspruchen und zu etablieren, über das in Beratungen im Komitee und auf Station Beratungsautorität hergestellt wird. Der Vortrag will zeigen, dass dieses Wissen der Ethikexperten stets das Problem lösen muss, wie es sich von Begründungen und Deutungshoheiten des klassischen medizinischen Professionswissens abgrenzen und sich gegenüber diesen behaupten kann. Die Ethikkomitees dringen dabei als formelle Struktur in den Bereich des Arzt-Patienten-Verhältnisses ein, das traditionell als besonderes lebensweltliches Vertrauensverhältnis zwischen professionellem Mediziner und seinem Klienten gedacht wird. Es ist ein Professionalisierungsprozess zu beobachten, in dem Ethik als Begründungs- und Reflexionswissen den Exklusivitätsanspruch der Medizin im Zugang zum Patienten aufzuweichen beginnt." (Autorenreferat)